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Mammut ist noch nicht ganz so «Love» wie sein «Brand»

Mammut ist noch nicht ganz so «Love» wie sein «Brand»

Von Peter Limacher – Ein Erfahrungsbericht über “Lovable Brands”. Wir Können nur hoffen, dass es noch mehr Berichte von Peter geben wird. Er erzählt über seine Erfahrungen mit “lokalen” Unternehmen. Aber lest selbst.

Peter Limacher

Von meinem Balkon aus – wo ich gerade diesen Blog schreibe – kann man eine Tafel erkennen. Auf dieser steht «Ernst Schaller – Schuhe und Berufskleidung». Das ist bestimmt nicht die schönste Aussicht, die einer vom Balkon aus haben kann, denn der Schuhmacher liegt an der Hauptstrasse in Eschenbach (Luzern) und nicht am Bosporus oder wo es sonst noch schön ist. Nichtsdestotrotz hat die Aussicht was, denn sie hilft mir dahingehend, dass ich weiss, wo ich meine Schuhe kaufen kann: Eigentlich klassische Werbung.

Wieso ich genau da meine Schuhe kaufe, hat aber nicht nur damit zu tun, sondern auch mit einer Form von Content Marketing. Denn Herr Schaller erzählt mir Geschichten. Aus diesen Geschichten – von «wie geht’s es ihnen?» über Klatsch und Tratsch bis zu Anekdoten aus seinem Leben – erfahre ich viel über das, was er denkt, seine Werte und seine Vorstellungen vom Leben. Dinge die nur indirekt mit seiner Arbeit zu tun haben. Damit kann ich mich identifizieren, ich beginne ihm zu vertrauen und so wird mein Nachbar der Schuhmacher zu einem einem «Love» oder gar «Lovable Brand»: Einer liebenswerten Marke, der ich vertraue.

Brauche ich neue Wanderschuhe, gehe ich also zu Herr Schaller und lass mich beraten. Sitzen dann die Mammut Schuhe noch am besten, so ist das Perfekt: Seon – der Sitz von Mammut – liegt nämlich etwa 13 Zughaltstellen oder 30 Autokilometer nördlich von hier und Mammut ist für mich mehr als ein einfacher Brand – vielmehr fast schon ein Label, das für den Alpenraum, Qualität und für Fairness gegenüber Mensch und Natur steht. Dafür zahle ich gerne mehr. Wesentlich mehr.

Dass Mammut für mich wie Herr Schaller auch ein «Lovable Brand» ist, hat viel mit der Art und Weise ihres Marketings zu tun. Sie verkaufen nämlich nicht nur Produkte, sondern ganze Geschichten, mit denen ich mich identifizieren kann – oder eben soll. Etwa berichtet ein aktuelles Video auf YouTube von der Besteigung der höchsten Gipfel in den Alpen.

Nur schon der Titel dieses Videos (Mammut “Inspired by Engadin”) macht klar, dass Mammut in den Alpen (Schweiz) zuhause ist.)

Die Bilder im nächsten Video zeigen mir den Wert der Umwelt und der Natur. Die Schweizer Berge und die schweizerdeutsche Originalstimme von Beni Hug im Hintergrund bilden das Lokalkolorit der Marke – sie muss aus der Schweiz sein. Die Geschichte der beiden Bergsteiger setzt den Menschen ins Zentrum.

Dabei dreht sich nichts mehr direkt um die Produkte oder um die Marke, vielmehr geht es um die beiden Bergsteiger und wie sie diese Herausforderung zusammen bestehen: Halt eben Content Marketing.

Wenn aber Geschichten in dieser Form erzählt werden, transportieren diese Werte, genauso wie jene Geschichten meines Nachbarn. Diese Werte sind überhaupt nicht universell oder objektiv und können verschieden interpretiert werden. Für mich erzählt die Geschichte der Bergsteiger aber ganz klar von Freiheit, die der Mensch braucht um sich zu verwirklichen, von Respekt gegenüber der Natur, von einem Hier-in-den-Alpen, von Freundschaft und Vertrauen.

Mammut muss diese Werte nirgends explizit erwähnen und trotzdem schwingen sie mit, wenn ich an den Brand denke, weil die erzählten Geschichten davon handeln. Trotzdem bestärken sie meine Identifikation mit ihren Werten mit anderen Marketingpraktiken zusätzlich: Das Lokale etwa mit dem Slogan «Inspired by Engadin» oder den Respekt mit den auf Facebook geteilten Ergebnissen eines Umweltberichts der WWF.

Mammut positioniert sich mit dem Umweltbericht der WWF auf Facebook und ihrer Community-Seite. Mammut zeigt dem User, dass sie sich für Umweltschutz engagieren.

Stolz auf meine Schuhe einer coolen, nachhaltigen, regionalen Marke entstand auf einmal ein Problem: Nach meiner zweiten grossen Wanderung hat der kleine linke Zeh gedrückt. Das macht im wortwörtlichen Sinne eigentlich gar nichts, denn Herr Schaller hat mir den Schuh einfach etwas ausgeweitet – halt ein Qualitätsprodukt von einem Fachhändler. Im Sinnbildchen aber hat mich das genervt, denn

wie der Schuh so auf dem Tresen steht, fällt mir auf, da steht ja «Made in China» drauf.

Die Ernüchterung war gross und ich begann meine anderen Bergutensilien zu untersuchen. Das Kletter-Gstältli von Mammut etwa ist aus Vietnam, mein Sherpa Rucksack aus China und meine North Face Jacke aus Bangladesch. Für Produktionsstandorte wie China kommen mir spontan nur wenig positive Gründe in den Sinn, aber jede Menge unmoralische. Die Arbeitenden sind billiger, haben keine Lobby, weniger Sozialleistungen und man vernachlässigt ganz einfach zu Gunsten des Gewinns die Umwelt – weniger strenge Vorschriften und längere Wege.

Bericht der WWF auf seine Facebooktimeline

Um dieser Kritik entgegen zu wirken, stellt Mammut etwa den erwähnten Bericht der WWF auf seine Facebooktimeline. Aber auch das ist trügerisch: Verlinkt wird dort nämlich nicht die Seite der WFF sondern eine Seite von Mammut selber. Auf dieser Seite wird der Unternehmenssitz in der Schweiz erwähnt, nirgends aber die Produktionsstandorte Vietnam oder China – niemand der denkt, dass Mammut in der Schweiz produziert, kommt darauf, dass das nicht stimmt. Ebenfalls brüstet sich Mammut bei 6 der 11 getesteten Punkte überdurchschnittlich abzuschliessen, lässt aber weg, dass sie bei drei Punkten die schlechteste Bewertung kriegen – das sind immerhin mehr als 25%.

Quelle: WWF

Mammut betont zwar auf dieser und den direkt weiter verlinkten Seiten immer wieder wie wichtig es ihnen ist Mensch und Umwelt zu schützen, erklärt mir aber nicht, warum meine Schuhe nicht in Seon produziert werden können. Ebenfalls bezweifle ich – belehrt mich aber gerne eines Besseren –, dass sich die Arbeitenden in China Mammut schuhe leisten können, mit denen sie sich in ihren bezahlten Ferien in den Bergen vertun können, obwohl Mammut genau diese Freiheit fast schon als Menschenrecht verkauft. Müsste sich dann nicht jeder der für so eine Firma arbeitet, diese Freiheit leisten können? Ebensowenig erklärt mir Mammut, warum sie beim WWF-Bericht in drei Punkten noch immer auf der schlechtesten Stufe stehen. Umwelt und Menschenrechte sind schliesslich nicht erst seit gestern ein Problem.

Mammut verkauft über sein Marketing Werte, die nicht wirklich mit ihren gelebten Werten übereinstimmen.

Wenn man sich als gut und liebenswert verkauft, dann hat man das auch zu sein und nicht erst Stück für Stück zu werden, denn dafür bezahle ich als Kunde. Zudem ist es im Segment des Outdoorsports überhaupt nicht ungewöhnlich im Heimatland der Marke zu produzieren, hier nur einige Beispiele aus meiner Ausrüstung:

Kletterschuhe: Scarpa (italienisches Unternehmen), Made in Italy; Evolve (amerikanisches Unternehmen), Made in U.S.A. with U.S. and imported Parts; Diverse Bändel Edelrid (deutsches Unternehmen), Made in Germany; Helme: Fahrradhelm UVEX (deutsches Unternehmen), Made in Germany; Kletterhelm Petzl (Französisches Unternehmen), Made in France; Mützen: Diverse von Polen bis Türkei; Fahrrad: Trek (amerikanisches Unternehmen), Made in U.S.A.!

Warum also kann das Mammut nicht?

Ich weiss es nicht. Ich hoffe aber, die Bemühungen, die Produktion wieder in die Schweiz zu bringen (Artikel in der Aargauer Zeitung), werden erfolgreich sein und hoffentlich nicht nur ein Teil für die Nische einer Nische (Roboterfabrik im Aargau) sondern die ganze.

Mammut hat für mich eine Vorbildrolle in Sachen Nachhaltigkeit und Menschenrecht, auch weil bereits vieles sehr gut machen. Diese Vorbildrolle sollten sie jetzt unbedingt wieder vermehrt wahrnehmen und nicht mit zwiespältigen Marketingkampagnen verschleiern, was – noch – nicht in Ordnung ist.

Shnit the WORLDWIDE SHORTFILMFESTIVAL will start tomorrow!

#MyTreeMusicMonday with Pink Martini – Why not?