Antworten von Prof. Nora Maria Raschle, Assistenzprofessorin für Psychologie und Principal Investigator des Forschungsbereichs für entwicklungsbezogene Neurowissenschaften am Jacobs Center for Productive Youth Development, Universität Zürich, und Sabine Gysi, Wissenschaftskommunikatorin
1. Wie ist es zum Projekt “Growing Brains” gekommen?
In unserem Forschungsteam sehen wir es als Teil unserer Aufgabe, öffentliches Wissen rund um die Entwicklung des menschlichen Gehirns zu schaffen. So ist auch unser Projekt Growing Brains entstanden. Es kombiniert Elemente der Wissenschaftsvermittlung, der Co-Creation und des Dialogs, um das Allgemeinwissen über die menschliche Entwicklung, das Gehirn und das Verhalten zu fördern und die Zusammenhänge mit relevanten Themen wie unsere psychische Gesundheit, lebenslanges Lernen oder die Rätsel des Teenager-Gehirns aufzuzeigen. Darüber hinaus planen wir, unser Publikum zu einem besseren Verständnis der grundlegenden Prinzipien des wissenschaftlichen Prozesses zu führen – wie funktioniert Wissenschaft eigentlich? Im Rahmen dieser Wissenschaftsvermittlungs-Initiative entwickeln wir deshalb verschiedene Arten von Dialog-Veranstaltungsformaten, Informationsmaterialien und sogar eine Graphic Novel, die sich an ein breites Publikum von Jugendlichen und Erwachsenen in der Schweiz und darüber hinaus richten.
2. Warum ist es wichtig für die Öffentlichkeit, mehr über die Entwicklung des menschlichen Gehirns zu erfahren?
Unser Gehirn zeichnet uns Menschen besonders aus. Es beeinflusst unsere Wahrnehmung, unser Verhalten und unsere Gesundheit. Es befähigt uns auch, zusammenzuarbeiten und komplexe Probleme innerhalb einer Gesellschaft anzugehen. Indem wir mehr über die Gehirnentwicklung lernen, können wir besser verstehen, wie wir uns im Laufe unseres Lebens entwickeln, lernen und uns verändern. Wenn wir diese Tatsachen und die biologischen und verhaltensbezogenen Mechanismen, die ihnen zugrunde liegen, besser verstehen, kann uns dies dabei helfen, bessere Möglichkeiten zu finden, Kinder dabei zu unterstützen, ihr Potential optimal zu nutzen und individuelle Ziele zu erreichen.
3. Wie können sich Einflüsse und Ereignisse in der frühen Kindheit auf das spätere Leben auswirken?
Das menschliche Gehirn ist das Resultat verschiedener biologischer Voraussetzungen und umweltbezogener Erfahrungen. Im Vergleich zu anderen Lebewesen reift das menschliche Gehirn noch sehr lange, bis zum Alter von ca. 22-25 Jahren. Erst werden einfachere, dann immer komplexere Fähigkeiten erlernt. Dieser Prozess ist stark geprägt von unserer Erfahrung und der Umgebung, in der wir aufwachsen. Parallel zu Spezialisierungsprozessen im Gehirn entwickelt sich das menschliche Verhalten. Frühe Erfahrungen und Ereignisse beeinflussen die Entwicklung der grundlegenden Prozesse, welche die Grundlage für immer komplexere Fähigkeiten bilden. Frühe Erfahrungen prägen deswegen unsere Entwicklung, aber auch unsere gegenwärtige und zukünftige psychische und körperliche Gesundheit.
4. Wie lange bleibt das Gehirn lernfähig?
Das menschliche Gehirn bleibt ein Leben lang plastisch, das heisst anpassungs- und lernfähig. Besonders plastisch ist es dabei während der frühen Entwicklungs- und Reifungsphase, die bis zum jungen Erwachsenenalter andauert. Während dieser spezifischen sensiblen Entwicklungsphasen sind wir besonders offen fürs Lernen und gegenüber verschiedenen Einflussfaktoren. Aber, wie bereits erwähnt, unser Gehirn erlaubt uns lebenslanges Lernen.
5. Warum engagiert sich Euer Forschungsteam in der Kommunikation mit einer breiten Öffentlichkeit?
Wir arbeiten in unserer Forschung viel mit Familien und Kindern zusammen. Dabei ist Vertrauen zentral; die Kinder sollen verstehen, was wir untersuchen und warum wir das tun. Darum haben wir von Anfang an nach Wegen gesucht, unsere Forschung auf eine Art zu vermitteln, die einfach verständlich ist und auch Spass macht. Wir engagieren uns daher regelmässig bei öffentlichen Veranstaltungen, besuchen Schulklassen und stellen Informationsmaterialien zur Verfügung, die für Kinder leicht verständlich sind.
Wir engagieren uns aber auch, weil unsere Gesellschaft immer stärker mit komplexen, zusammenhängenden Problemen konfrontiert ist. Nur gemeinsam mit der Wissenschaft können diese Probleme angegangen werden. Die Gehirnentwicklung wirkt sich auf aktuelle Fragestellungen wie z.B. Mental Health von Teenagern, auf unseren Erfolg in Schule und Beruf und auf unser ganzes Leben aus. Hinzu kommt: Fake News und irreführende Infos haben in Zeiten von Klimakrise und Pandemie Hochkonjunktur. Eine Wissenschaft, die zugänglich, nahbar und vertrauenswürdig ist und ihre Kommunikationsinstrumente im Griff hat, kann dem entgegenwirken.
6. Warum befragt Ihr das Publikum, bevor Ihr für „Growing Brains” Dialogveranstaltungen und Lernmaterialien entwickelt?
Wir befragen das Publikum, bevor wir für “Growing Brains” Dialogveranstaltungen und Lernmaterialien entwickeln, weil wir wissen wollen, was die Menschen über Themen wie Gehirn, Entwicklung und psychische Gesundheit denken und was sie darüber lernen wollen. Wir möchten unsere Dialogveranstaltungen, Informationsmaterialien und das Comicbuch so gestalten, dass sie den Bedürfnissen und Interessen unseres Publikums entsprechen und ihnen einen Mehrwert bieten.
7. „Growing Brains“ scheint ein längerfristiges Projekt zu sein. Ab wann kann man Eure Veranstaltungen besuchen, das Comicbuch lesen und von den Lernmaterialien profitieren?
Ja, dies ist ein mehrjähriges Projekt. Die Erstellung verschiedenster Infomaterialien wird noch andauern; ca. 2025 wird es soweit sein. Abonniert auf unserer Website www.growingbrains.ch unseren Newsletter, um auf dem Laufenden zu bleiben!
Besten Dank für die Beantwortung der Fragen!
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Doku über das Gehirn – Unser Hirn ist, was es isst – der Livetalk | ARTE Saloon
Wir wissen, dass sich Ernährung positiv auf die körperliche Gesundheit und Leistungsfähigkeit auswirken kann, doch was ist mit dem Einfluss von Essen auf unser Gehirn? Kann Nahrung unsere geistige Leistung steigern? Können wir unsere mentale Gesundheit und Stressresistenz durch Essen verbessern und wie lässt sich unsere Gemütslage durch Nahrung steuern?